Magazin
20 Jahre Radio LOHRO
Jul 25
Am 1. Juli 2025 feiert Radio LOHRO seinen 20. Geburtstag – ein Meilenstein für das unabhängige Lokalradio aus Rostock, das seit zwei Jahrzehnten für Vielfalt, Subkultur und Meinungsfreiheit steht. Was 2005 als mutiges Projekt engagierter Radiomacher*innen begann, ist heute eine feste Größe in der norddeutschen Medienlandschaft – mit einem Programm, das so bunt ist wie die Stadt selbst.
Zum Jubiläum startet LOHRO am Dienstag, den 1. Juli, mit einer 20-stündigen Live-Dauersendung – von der Frühstückssendung um 4 Uhr morgens bis Mitternacht. Die Hörer*innen erwartet ein Programm mit Rückblicken, Interviews, Musik und Geschichten aus zwei Jahrzehnten Radiogeschichte. Die Tanzparty wird drei Tage später am Freitag, den 4. Juli, im Helgas Stadtpalast gefeiert. Dort legen 20 LOHRO-DJs auf - ganz im Stil des Senders: laut, liebevoll und unabhängig.
Der Lokalsender steht seit jeher für ehrenamtliches Engagement, medienpädagogische Arbeit und eine offene Plattform für Stimmen aus Rostock. Ob politische Debatten, queere Kultur, Indie-Musik oder migrantische Perspektiven – LOHRO gibt Raum für Themen, die im Mainstream oft zu kurz kommen. Das Jubiläum ist daher nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern auch ein starkes Zeichen für die Bedeutung freier Medien in einer vielfältigen Gesellschaft.
Ein Meilenstein mit Leuchtturmcharakter: Die LOHRO-Mediathek
Zum 20-jährigen Jubiläum blicken viele zurück auf bewegte Jahre voller Sendungen, Umzüge, Projekte und Begegnungen. Doch ein Aspekt sticht besonders hervor: die Einführung der LOHRO-Mediathek – ein Schritt, der das Selbstverständnis des Senders grundlegend verändert hat. „Ich muss den Leuten nicht mehr sagen: Schaltet bitte um 21 Uhr ein – ich schick ihnen einfach den Link“, sagt Kristin Schröder, Geschäftsleitung von Radio LOHRO. Die Mediathek ist mehr als nur ein technisches Update. Sie markiert einen tiefgreifenden Wandel im Umgang mit Inhalten, Verantwortung und Öffentlichkeit. Was früher live gesendet und danach oft verloren war, bleibt heute abrufbar – dauerhaft, öffentlich, teilbar. Mit dieser neuen Sichtbarkeit wächst auch die Verantwortung. „Früher konnte man bei einem Soundbett von Depeche Mode vielleicht noch sagen: Ach, das versendet sich. Heute geht das nicht mehr.“ Die Mediathek zwingt das Team, sich intensiver mit Medienrecht und Lizenzen auseinanderzusetzen. Es gibt nun regelmäßige Workshops, insbesondere für neue Freiwillige im Sender. „Wir kontrollieren uns stärker selbst. Eine gewisse Leichtigkeit geht dabei vielleicht verloren – aber wir gewinnen an Professionalität.“
Der Weg zur Mediathek war lang und herausfordernd. Die Umsetzung wäre für ein ehrenamtlich getragenes Projekt kaum finanzierbar gewesen – doch LOHRO fand eine kreative Lösung: Ehrenamtliche entwickelten die Mediathek selbst, als Open-Source-Projekt. In einem eigenen Matrix-Chatraum tauschten sie sich aus, entwarfen Programmiercodes und arbeiteten oft nächtelang gemeinsam an der Umsetzung. Die Prämisse war klar: Der Code sollte frei verfügbar sein, damit auch andere Initiativen davon profitieren können. „Hätte es kommerzielle Interessen gegeben, hätten die Entwickler das Projekt nicht weiterverfolgt“, betont Schröder. Besonders hervorzuheben ist das Engagement von Philipp Markwardt, der die Mediathek maßgeblich mitentwickelt hat. Sein Anliegen: Nicht nur ein funktionierendes Tool zu schaffen, sondern sicherzustellen, dass es verantwortungsvoll genutzt wird. Sein Einsatz steht exemplarisch für die Haltung vieler Beteiligter: Idealismus, Fachkompetenz und der Wunsch, Medienarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Radio im digitalen Zeitalter
Ein zentrales Ziel der Mediathek war es, das Ehrenamt zu stärken. Was ihr auch gelungen ist. Mittlerweile kann LOHRO 200 Mitmacher*innen zählen. Nicht jede*r der Ehrenamtlichen bleibt für immer – und das ist völlig in Ordnung. Manche verabschieden sich leise, andere mit großem Bedauern. Ein zentrales Anliegen ist es, Menschen aus marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben. Deshalb gibt es beispielsweise eine Sendung der ukrainischen und eine der arabischen Community, um ihnen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Muttersprache zu senden – für Landsleute, die neu in Deutschland sind und noch kein Deutsch sprechen. Hier wird nicht nur Raum gegeben, sondern auch aktiv unterstützt – mit Zeit, Technik und Begleitung. Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Rostocker Initiative „Kommune Inklusiv“, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt. Ziel ist es, neue Perspektiven hörbar zu machen – nicht nur zu reagieren, sondern selbst Impulse zu setzen.
Einzigartig in Deutschland – und ein Symbol für Unabhängigkeit
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte von Radio LOHRO war der Aufbau eines eigenen DAB+-Multiplex – ein Novum in der Landschaft der Freien Radios. Während in anderen Bundesländern solche digitalen Sendeplattformen meist von kommerziellen Anbietern betrieben werden, erhielt LOHRO in Mecklenburg-Vorpommern die einmalige Genehmigung, einen nicht-kommerziellen Multiplex für den Raum Rostock selbst zu betreiben. Möglich wurde das durch das Engagement des Rundfunktechnikers Christian Milling, der mit großer Leidenschaft für freie Radios ein unschlagbares Angebot machte. Unterstützt von der Staatskanzlei MV und der Hansestadt Rostock konnte das Projekt mit vergleichsweise geringen Mitteln realisiert werden. Die Suche nach einem geeigneten Sendestandort war jedoch eine Herausforderung: Zahlreiche Dächer wurden vermessen, Gespräche geführt, Rückschläge hingenommen – bis schließlich das Maschinenhaus des Rostocker Kraftwerks den entscheidenden Platz auf seinem Dach zur Verfügung stellte. Kostenlos, aus Überzeugung.
Dass ein freies Radio wie LOHRO heute Betreiber eines eigenen DAB+-Multiplex ist, gilt bundesweit als einmalig. Die Medienanstalt ermöglichte nicht nur die Bewerbung, sondern formulierte die Ausschreibung so, dass LOHRO überhaupt eine Chance hatte. Die Bedingung: Der Betrieb musste nicht-kommerziell bleiben. Das bedeutete zwar, dass keine Gegenfinanzierung über kommerzielle Sender möglich war – aber es sicherte die Unabhängigkeit des Projekts. „Das war schon eine Eule“, sagt Kristin Schröder rückblickend – ein Glücksfall, der nur durch das Zusammenspiel von Idealismus, technischer Expertise und institutioneller Unterstützung möglich wurde. Heute strahlt LOHRO über DAB+ – und beweist damit, dass auch freie Radios zukunftsfähige Technik nutzen können, ohne ihre Grundsätze zu verraten.
Ein Projekt mit Wirkung
Mit rund 50.000 regelmäßigen Hörer*innen ist Radio LOHRO längst kein Nischenprojekt mehr. Diese Zahl, basierend auf einer Umfrage der Medienanstalt, überrascht viele – und zeigt, dass die Inhalte ankommen. Das motiviert nicht nur bestehende Ehrenamtliche, sondern macht das Projekt auch für neue Mitwirkende attraktiv.
Ein weiterer Schritt in Richtung Teilhabe ist die Ausweitung der redaktionellen Arbeit auf Stadtteile außerhalb der Innenstadt. Mit dem Zukunftsladen in Toitenwinkel und der Stadtteilsendung in Südstadt/Biestow wurden Sendestudios aufgebaut, in denen regelmäßig produziert wird. Auch in Lichtenhagen mit „Guten Morgen, Schlafstadt!“ und Schmarl gibt es erste Aktivitäten. Ziel ist es, Menschen vor Ort für Audioarbeit zu begeistern – jenseits der „Innenstadt-Bubble“.
Medienarbeit stärkt Demokratie
„Ich bestimme das natürlich nicht, ich bin ja bloß die Geld-Else“, sagt Kristin Schröder – und doch wird deutlich, wie sehr ihr die inhaltliche Ausrichtung von Radio LOHRO am Herzen liegt. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie den Sender noch stärker zu einem Instrument der Demokratiestärkung weiterentwickelt. Gerade in Zeiten von Fake News, populistischen Parolen und einem gesellschaftlichen Klima, das von Überforderung und Kränkung geprägt ist, sieht sie unabhängige Medien als Bollwerk gegen den Rückfall in autoritäre Denkmuster. „Ich würde LOHRO gerne als eine Art Institut verstehen, das rechtsstaatliche Prinzipien bewahrt – angefangen bei der Pressefreiheit bis hin zur Wahrung der Grundrechte.“ Besonders Artikel 1 des Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – ist für sie ein Leitmotiv. Für Schröder umfasst Würde nicht nur abstrakte Werte, sondern ganz konkrete Lebensrealitäten: Zugang zu Bildung, soziale Sicherheit, Teilhabe. All das gelte es zu schützen – gegen Tendenzen, die diese Errungenschaften infrage stellen.
Trotz ihrer Rolle in der Geschäftsleitung versteht sich Schröder nicht als inhaltliche Entscheiderin, sondern als Ermöglicherin. Die besten Ideen, so betont sie, kommen von den Menschen selbst: Stadtteilradios, arabischsprachige Formate, die Mediathek – all das entstand aus dem Engagement Einzelner. Ihre Aufgabe sieht sie darin, Ressourcen bereitzustellen, Projekte zu beantragen und Strukturen zu schaffen, in denen solche Ideen wachsen können. Dabei ist ihr wichtig, dass LOHRO ein Ort bleibt, an dem marginalisierte Stimmen Gehör finden – ohne Diskriminierung, Sexismus oder Rassismus. Konflikte werden nicht ausgesessen, sondern aktiv bearbeitet – wie einst in der Auseinandersetzung zwischen Hip-Hop-Redaktion und Frauenhaus. „Es geht nicht darum, Menschen rauszuwerfen, sondern sie in Diskussionen zu bringen“, sagt Schröder.
Radio LOHRO ist mehr als ein Sender – es ist ein lebendiges, lernendes Projekt. Die Mediathek und DAB +- waren Meilensteine, aber sie sind nur zwei Teile eines größeren Ganzen: Ein professioneller, inklusiver Radiobetrieb, der Menschen ermutigt, ihre Stimme zu erheben – und gehört zu werden.
ANTJE BENDA
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