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Musik

Götz Alsmann – Leichte Muse ernst genommen

Götz Alsmann – Leichte Muse ernst genommen

Jun 24
Es heißt, die Nacht gehöre den Liebenden. Schlagerliebhaber Götz Alsmann hat ihr ein ganzes Album gewidmet. Auf „ ... bei Nacht“ präsentiert der Sänger, Songschreiber, Radio- und TV-Moderator aus Münster gehobene Unterhaltungsmusik der 1910er bis 1960er Jahre im Jazz-Gewand, unterstützt von Stars wie Till Brönner oder Roland Kaiser. Das wandelnde Musiklexikon mit der Schmalztolle wurde gerade mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und gab Olaf Neumann Auskunft über seine Sangesheldinnen und –Helden, die Ursprünge des Schlagers und seine Abneigung gegen das Streaming.

0381-MAGAZIN: Herr Alsmann, auf Ihrem neuen Album geben sich Stars wie Roland Kaiser, Yvonne Catterfeld, Till Brönner und Daniel Hope die Ehre. Hat Ihre musikalische Bandbreite sich stets erweitert?
Götz Alsmann: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob meine persönliche Bandbreite sich so dramatisch erweitert hat, aber es sind viele Dinge deutlich signifikanter, wenn Sie einen Daniel Hope oder einen Roland Kaiser einladen. Ich habe mich schon immer zwischem allem bewegt. Das sind natürlich sehr große Namen, die sicherlich beim Betrachter bestimmte Assoziationen wecken. Ich kenne die aber alle schon sehr lang und habe mir genau überlegt, zu wem welches Lied wer gut passen könnte.
 
0381-MAGAZIN: Ist damit zu rechnen, dass jemand von denen auf Ihrer Tournee vorbeischaut?
Alsmann: Bei unserer Premiere in Berlin am 1. Juni werden einige da sein.
 
0381-MAGAZIN: „... bei Nacht“ ist Ihre 18. reguläre Langspielplatte. Wo finden Sie noch unverbrauchte Schlager aus den vergangenen 120 Jahren?
Alsmann: In meinem großen Archiv mit alten Schallplatten und vor allem Noten. Die sind für mich ein wichtiger Faktor sowohl bei der Materialfindung als auch bei der Umsetzung. Man wundert sich, dass Schlager, die zu ihrer Zeit so bekannt waren, sehr schnell wieder untergegangen sind. Diese Kunstform war immer schon zum Sofortverzehr gedacht. Manche Sachen verblüffen auch. Wer weiß schon, dass es zu „Yesterday" 1965 auch einen ganz hübschen deutschen Text gab. Mittlerweile ist es mitunter schwierig, für solche Stücke noch die Genehmung für deutsche Fassungen zu bekommen. Anders ist es, wenn diese Texte bereits in der Welt sind.
 
0381-MAGAZIN: Für die Frankfurter Rundschau war Knut Kiesewetters Version von „Yesterday“ viel schöner als das Beatles-Original. Ist Ihr „Gestern noch“ eher eine Hommage an den norddeutschen Barden Kieswetter als an die legendären Fab Four?
Alsmann: Diese Kritik zeigt eher die Haltung der FR im Jahre 1965 gegenüber den Beatles, die da längst noch nicht als salonfähig galten. Kiesewetter galt viele Jahre als der deutsche Jazz-Sänger Nummer eins, und so hatte er gute Karten. Leider hat es bei dieser Nummer dann doch nicht zu großen Hit-Ehren gereicht. Aber mich hat das Lied als Achtjähriger sehr beeindruckt, es gab dazu sogar ein Video, das man im Fernsehen sehen konnte. 
 
0381-MAGAZIN: Geht es Ihnen darum, Texte zu finden, die uns heute noch etwas zu sagen haben?
Alsmann: Wirklich nur in zweiter Linie. Für mich ist der Text mehr ein Gefühlsvehikel. Ich mag aber keine offensichtlich schlechten Texte, denn die lassen sich einfach nicht gut und wie selbsverständlich singen. Ich weiß: Nicht alles, was ich da singe, ist literaturnobelpreisverdächtig, aber manchmal kann es auch ein simpler Text sein, der zusammen mit der Melodie ein sehr schönes Sentiment transportiert. Aber klar: Ein gewisses humorvoll-ironisches Niveau wird von mir gern gesehen.
 
0381-MAGAZIN: Der Begriff Schlager wurde oft abwertend benutzt, dabei haben viele Jazzsänger auch Schlager gesungen. Ist Schlagermusik künstlerisch wertvoll?
Alsmann: Schlager ist ein Wort, das muskalisch gar nichts aussagt, außer dass es sich um ein Lied in deutscher Sprache handelt. Es gibt katastrophale Hervorbringungen des Schlagers und auch geniale. Schlager ist weder ein Qualitätssignet noch ein musikalischer Gattungsbegriff. Der Schlager der 20er Jahre hat mit Helene Fischer nichts zu tun, der Schlager der 70er hat mit den Comedian Harmonists nichts zu tun. Er hat sich immer dem aktuellen Zeitgeschmack angepasst oder ihm sich manchmal entgegengestellt. Seit den Tagen der Operette ist klar: Schlager ist deutschsprachige Unterhaltungsmusik.
 
0381-MAGAZIN: Steht Ihr Album für ein Lebensgefühl von damals oder von heute?
Alsmann: Ich setze da eher auf den Faktor Zeitlosigkeit. Ich versuche jetzt nicht, ein 20er- oder 50er-Jahre-Lebensgefühl widerzugeben. Dafür ist die Musik auch nicht authentisch, weil sie ganz klar von heute ist. Ich biete unseren Blick auf das alte Liedgut an. Wir pflegen einen klassischen Jazz-artigen Sound. Eigentlich sind wir eine Barmusikband Anfang der 60er, die in der vorhandenen Besetzung die letzten 40 Jahre Schlagergeschichte aufarbeiten muss. Bei unserem Projekt „Es grünt so grün" haben wir das gesamte "My Fair Lady"-Programm gespielt. Ich habe alle Stücke gesungen und zwischendurch die Handlung erzählt. 

0381-MAGAZIN: Hat die Unterhaltungsmusik, die im Nationalsozialismus entstanden ist, viele Lieder hervorgebracht, die die NS-Doktrin geschickt unterlaufen haben?
Alsmann: Ganz klar! Es gab zwar eine Anzahl Propagandaschlager, aber selbst die erfolgreichen Filme unter der Ägide des Propagandaministers hatten noch eine Menge Dinge, die der Zensur eine lange Nase drehten. Dafür gibt es bekanntlich genügend Beispiele.
 
0381-MAGAZIN: Welche musikalischen Trends prägten die 40er und 50er Jahre?
Alsmann: Swingmusik war ein bedeutender Faktor. Und im französischen wie ihm deutschen Sprachraum waren lateinamerikanische Rhythmen prägend. Wir hatten hier auch eine lang anhaltende Affinität zu traditionellen Polkas und Walzern, die aber von den Orchestern oft mit sehr viel Finesse arrangiert wurden.
 
0381-MAGAZIN: Stehen die Originalschallplatten in Ihrem Archiv?
Alsmann: Ja, zigtausend. Ich mache ja seit 40 Jahren wöchentlich Hörfunksendungen. Die bestücke ich ausnahmslos aus meinem eigenen Archiv.
 
0381-MAGAZIN: Sind Sie im Hörfunkstudio der letzte, der noch einen Plattenspieler benutzt?
Alsmann: Beim WDR auf jeden Fall. Ich lege aber nicht selber auf, sondern ich moderiere und schaue durch die Scheibe dem Techniker zu, der für mich die Platten auflegt. Als ich beim Radio anfing, war Vinyl noch das gängige Medium, und man konnte selbstständig drei Plattenspieler parallel bedienen. Heute gibt es hier nur noch einen einzigen davon. Das heißt also: Während ich moderiere, muss der Kollege schnell die Platten wechseln.

0381-MAGAZIN: Hildegard Knefs Lied „In dieser Stadt" stammt aus dem Jahr 1965. Sie singen es gemeinsam mit Roland Kaiser. Spiegeln die Chansons der Knef die Bundesrepublik der 60er wider?
Alsmann: Ich glaube, dieses Lied ist eher zeitlos. Es waren weniger die Lieder der Knef, die den Zeitgeist der frühen und Mittsechzigerjahre widergespiegelt haben, sondern mehr ihre Persönlichkeit. Die Idee, als deutsche Sängerin oder deutscher Sänger einen eigenen Konzertabend zu gestalten, war damals vollkommen neu. Udo Jürgens war genauso ein Pionier. Bis dahin war es usus, dass mehrere Schlagersängerinnen und -sänger als Teil einer bunten Revue auf Tournee waren. Niemand sang länger als 20 Minuten. Die Beatles hatten auf ihren Welttourneen nie Auftritte, die länger dauerten als 30 Minuten. Sowohl Knef als auch Jürgens haben darum gerungen, dass man ihnen einen alleinigen Abend überhaupt zutraut. Die Knef wurde am Anfang vom Günter Noris Quintett begleitet, einer ausgesprochenen Jazzband. Diese Tourneen waren immense Erfolge. Der Typus "selbstbewusste Künstlerin im gehobenen Schlagerbereich" war damals wirklich etwas Neues. Die Knef hat ohne Netz und doppelten Boden zwei Stunden für ihr Publikum gesungen.
 
0381-MAGAZIN: Die berührende melancholische Ballade „Nachts sind die Straßen so leer" stammt im Original von Peter Alexander & dem Orchester Karl Loube aus dem Jahr 1952. Eine vergessene Perle?
Alsmann: Ja, das ist ein vollkommen vergessenes Stück. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob es jdamals überhaupt veröffentlicht wurde. Ich habe es als Mitschnitt von Radio Rot-Weiß-Rot. Das ist das österreichische Gegenstück zu unserem RIAS. Auf meinem Album sind auch Stücke, die noch nie auf Platte veröffentlicht worden sind. Das „Nachtlied" von Margot Hielscher zum Beispiel gab es nur als Rundfunkaufnahme von 1964. Und „Ja, da gibt's kein zurück" hat sie 1951 auf deutsch für einen amerikanischen Spielfilm eingesungen, in dem sie als Nachclubsängerin auftaucht. Davon ist niemals eine Schallplatte gemacht worden.
 
0381-MAGAZIN: Peter Alexander hat man als immer charmanten und fröhlichen Entertainer in Erinnerung. Hatte er auch eine melancholische Seite?
Alsmann: Ja klar, aber im Großen und Ganzen hat der Fernsehstar Peter Alexander den Sänger gefressen. Man wundert sich, wie irrsinnig groß sein Aufnahmekatalog ist. Allein was er vor seiner Hitzeit für die Austrophon gemacht hat, füllt schon Schränke. Alexander hat einfach gigantisch viele Lieder aufgenommen, und viele davon nicht exklusiv.  Wenn damals eine erfolgreiche Nummer herauskam, waren sofort 15 Versionen davon am Markt. Seine erste Platte überhaupt war „Die Beine von Dolores“, und die musste ankämpfen gegen die Fassungen von Gerhard Wendland und Peter René Körner. Die Identifikation einer Platte mit nur einem Künstler ist noch nicht so alt.
 
0381-MAGAZIN: Hätten Sie gern in den 50ern mit ihrer Aufbruchstimmung gelebt?
Alsmann: Da bin ich mir nicht so sicher, wenngleich mir vieles am damaligen Lebensstil sehr gefällt. Ich glaube aber, man sollte keine Zeit idealisieren.
 
0381-MAGAZIN: Der Bundespräsident hat Sie kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Inwieweit hilft Musik, unsere „Gesellschaft gerechter, offener und zukunftsfähiger zu machen“?
Alsmann: Ich glaube einfach, sie macht das Leben schöner. Und wer sich am Leben und an der Musik erfreut, wird sicherlich für mehr Lächeln in der Welt sorgen. Wenn Musik die Moral und das Wohlbefinden der Menschen stärkt und sie von dummen Ideen abhält, dann ist das sehr, sehr gut. Ob ein einzelnes Lied dazu beiträgt, irgendetwas wirklich besser zu machen, weiß ich nicht. Da bin ich eher skeptisch. Wenn wir heutzutage über gesellschaftlich bedeutsame Lieder sprechen, dann ist doch meist der Text gemeint und weniger die Komposition.
 
0381-MAGAZIN: Welches Lied hat Ihr Leben verändert?
Alsmann: Ein entscheidender Moment war, als mein Vater mich das erste Mal bewusst auf eine Louis-Armstrong-Platte hinwies, die im Radio lief. Da war ich sechs oder sieben.

22.06.2024 · 18.00 Uhr · Zoo Rostock

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