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Musik

Dieter Birr im Interview: Maschines Abenteuer

Dieter Birr im Interview: Maschines Abenteuer

Mrz 24
Er hat maßgeblich die DDR-Rockmusik geprägt und bis heute 22 Millionen Tonträger verkauft: Die Rede ist von Dieter Birr, genannt Maschine. Nun erscheint sein sechstes Soloalbum „Mein Weg", flankiert von einer neuen Biografie. In einem ungewohnt harten Stück kritisiert der ehemalige Puhdys-Frontmann die Vorverurteilung von Menschen aufgrund medialer Berichterstattung. Anlass zu dem Song ist der Skandal um Till Lindemann, mit dem er befreundet ist. Mit dem „unverbesserlichen Optimisten“ Dieter „Maschine“ Birr sprach Olaf Neumann über Homosexualität in der DDR, Putin und die Gefahr einer nuklearen Eskalation sowie seinen 80. Geburtstag am 18. März.

0381-MAGAZIN: Herr Birr, Sie sind seit 55 Jahren im Geschäft. Ist das Musikmachen für Sie eine Art Meditation, mit der Sie Ihr Wohlbefinden fördern?
Dieter „Maschine" Birr: Wenn man eine Leidenschaft bis ins hohe Alter halten kann, ist das auf jeden Fall förderlich für das Wohlbefinden und die Gesundheit. 

0381-MAGAZIN: Für Ihr neues Album „Mein Weg" haben Sie u.a. den Puhdys-Klassiker „Ikarus“ neu aufgenommen. Ist Ihnen Ihr Heim zu eng, und gehen Sie deshalb immer wieder auf Tour?
Birr: Zu eng ist es mir nicht, aber ich mag  Abwechslung im Leben. Ich freue mich nach jeder Tour, wieder nach Hause zu kommen. Ich denke, dass trägt auch dazu bei, dass ich mich jünger fühle als ich eigentlich bin. 

00381-MAGAZIN: War die mythologische Gestalt des Ikarus für Sie immer eine Art Vorbild?
Birr: Ikarus war in der DDR eher ein Synonym für Freiheit. „Fliegen" war ein oft gebrauchter Begriff, den DDR-Bürger mit Freiheit verbunden haben. Es bedeutete ja, ins Ausland zu fliegen, und zwar nicht nur ins sozialistische. Wir haben dieses Lied mit den Puhdys immer gespielt und es dabei ziemlich ausgedehnt. Der Gitarrist Uwe Hassbecker von Silly, mit dem ich heute zusammen ein Duo bilde, brachte mich dazu, „Ikarus“ neu aufzunehmen. Es hat jetzt einen ganz schönen Druck gekriegt. 

0381-MAGAZIN: In dem neuen Rocksong „Hunderttausend Laienrichter“ beklagen Sie die Vorverurteilung von Menschen aufgrund medialer Berichterstattung, „ohne deren Stimme zu hören, ohne die Geschichte dahinter zu beleuchten“. Ist das Lied ein Kommentar zur Berichterstattung über Rammstein-Sänger Till Lindemann?
Birr: Unter anderem, ja. Über die Vorwürfe gegen Till Lindemann wurde ja sogar in der Tagesschau berichtet. Ich wusste nicht so richtig, was ich davon halten soll, denn ich kenne ihn ja persönlich. Er hat auf dem Puhdys-Album „Wilder Frieden" mitgesungen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen gegen ihn etwas dran ist, aber man weiß natürlich nicht, was die Leute noch so alles machen. Die Staatsanwaltschaft hat aber nichts feststellen können, und das muss man zur Kenntnis nehmen. Jetzt wurde Till Lindemann aber völlig fertig gemacht; bei Rammstein-Konzerten wurde gegen ihn demonstriert. Demonstrieren ist legitim, aber für mich war das ein bisschen wie Hexenjagd. Manche haben sogar verlangt, dass Auftritte von der Rammstein-Coverband Stahlzeit abgesagt werden. Aber was können die dafür? Verwerflich finde ich auch, dass über Schwerverbrecher anonym berichtet wird, aber für jemanden, der bekannt und eigentlich beliebt ist, gilt das nicht. Selbst wenn an den Vorwürfen gegen Till Lindemann etwas dran wäre, hätte er es nicht verdient, dass er so lange in der Öffentlichkeit fertig gemacht wird. Er hat mir einfach auch leid getan. Nach außen hin wirkt er brutal, gerade durch die Bühnenshow, aber Lindemann hat auch Gefühle. Ich finde es ganz schlimm, wenn populäre Leute öffentlich fertig gemacht werden aufgrund eines Verdachtes. Man hat an Jörg Kachelmann und Andreas Türck gesehen, was man damit anrichten kann. 

0381-MAGAZIN: Till Lindemann wurde zwar nicht verurteilt, seine Karriere hat aber einen Knick bekommen. Ist es moralisch vertretbar, noch Musik von ihm zu hören?
Birr: Jeder hat doch seine eigene Moral. Wenn man diese Musik gut findet, soll man sie auch hören. Ich kann mich doch nicht als Moralapostel aufspielen. Entscheidend ist doch, dass die Staatsanwaltschaft nichts gegen ihn gefunden hat. Ich glaube, dass die ziemlich genau nachgeforscht haben. Und dass wollte ich mir einmal von der Seele schreiben. 

0381-MAGAZIN: Inwieweit darf oder muss man Kunst und Künstler voneinander trennen?
Birr: Wenn man einen Mörder spielt, ist man ja in Wirklichkeit kein Mörder. Insofern muss man die Kunst vom Künstler trennen. 

0381-MAGAZIN: Sind Sie auch schon „verurteilt“ und „beschimpft" worden?
Birr: Als der Streit mit meinem ehemaligen Puhdys-Kollegen akut war, stand in der Zeitung „Dieter Gier". Das hatte mich ganz schön verletzt. Weil ich nicht der Gierige war, sondern die Kollegen. Ich hatte ja die ganze Zeit meine Tantiemen mit ihnen geteilt, aber irgendwann war damit Schluss. Aber wir haben uns nicht deswegen getrennt. Das nur nebenbei. Ansonsten habe ich es noch nicht erlebt, in der Öffentlichkeit wie ein Monster dargestellt zu werden. 

0381-MAGAZIN: Der Puhdys-Song „Hiroshima“ von 1983 handelt vom Atombombenabwurf der US-Armee auf die japanische Stadt Hiroshima am 6. August 1945. Und die Hymne „Das Buch" von 1984 drückt die Angst vor einem Atomkrieg und dessen Folgen aus. Haben Sie diese Klassiker neu aufgenommen, weil Sie heute wieder aktuell sind?
Birr: Auf jeden Fall. Die Leute haben sich bei meinen Konzerten immer wieder „Das Buch" gewünscht. Wir spielen es seit einiger Zeit zu zweit, wobei es im Original eine bombastische Nummer ist. Aber die Unplugged-Version funktioniert tatsächlich. Für mich ein Zeichen, dass die Leute das Lied aufgrund des Textes und der Melodie mögen. Bei der Neuaufnahme singt übrigens die junge Sängerin Nessie mit. Ich finde es schön, dass Musik generationsübergreifend ist. 

0381-MAGAZIN: Wissenschaftler sagen: Die Gefahr einer nuklearen Eskalation ist so groß wie während des gesamten Kalten Krieges nicht. Wie gehen Sie als erklärter Optimist damit um?
Birr: Obwohl ich Optimist bin, macht mir das Sorge. Ich denke immer, das wird schon nicht passieren. Nur hat die Geschichte uns etwas anderes gelehrt, siehe Ukraine und Israel. Und in „Lange her" singe ich über Krieg und Soldaten. Auf der anderen Seite will ich für den Rest meines Lebens nicht mit schlechter Laune und Angst herumlaufen. Aber es macht mir Sorge, wie brutal Menschen sind. Als wir "Das Buch" damals für "Rock für den Frieden" aufnahmen, haben wir insgeheim gewusst, die Raketen werden nicht abgeschossen. Aber nun sieht es doch anders aus. Trotzdem will ich meinen Kindern und Enkeln vermitteln, dass das Leben lebenswert ist. Darüber habe ich auch mal ein Lied gemacht, "Die Welt ist ein Wunder“: "Ich sitz am Meer und mir fällt auf/dass ich heut zufrieden bin/ich habe alles, was ich brauch/Ich bin am leben und lachen kann ich auch". Es wäre doch schön, wenn alle Menschen trotz unterschiedlicher Auffassung friedlich nebeneinander leben könnten. 

0381-MAGAZIN: Das allererste Auslandsgastspiel der Puhdys fand 1974 in der Sowjetunion statt. Sie sind drei Monate durch dieses riesige Land getourt. Ein großes Abenteuer?
Birr: Ja, das war spannend. Wir waren die Begleitband des DDR-Schlagersängers Siegfried Walendy. Er sah gut aus und war in der Sowjetunion ein Superstar. Wir spielten dort in den größten Hallen und durften auch einen unserer eigenen Songs aufführen, "Zeiten und Weiten". In Georgien sang Walendy auf Grusinisch „Suliko“, das das Lieblingslied von Stalin gewesen sein soll. Die Leute sind völlig ausgerastet! Ein paar Jahre später absolvierten wir eine eigene Tour durch die Sowjetunion. 

00381-MAGAZIN: Sie spielten in Moskau, Leningrad, AlmaAta, Tbilissi, Taschkent, Eriwan, Minsk, Kiew oder Nowosibirsk - vor bis zu 12.000 Leuten. Die Entwicklung, die Russland in den letzten Jahren vollzogen hat, muss da für Sie persönlich besonders bitter sein. 
Birr: Na klar. Die Menschen in der Sowjetunion waren unsere Freunde. So wurde uns das in der Schule beigebracht. Von sozialistischem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Uns wurde gelehrt, dass die Sowjetunion alles richtig mache und unser Freund sei. Ich war anfangs auch beeindruckt von Putin. 

0381-MAGAZIN: Werden sich die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland jemals wieder erholen?
Birr: Das wird wahrscheinlich Generationen dauern. Ich habe den Eindruck, dass man mit Putin gar nicht reden kann. Für mich nicht vorstellbar, dass Selensky sich mit ihm an einen Tisch setzen würde, um zu verhandeln. Das geht doch mental gar nicht. Mir tun die Menschen in der Ukraine leid, die schwangeren Frauen in den Entbindungsstationen, die entführten Kinder. Das ist ein Elend. Es geht mir nicht in den Kopf, dass für so eine Idee Menschen grausam sterben müssen. Das Schlimme ist, dass man das nicht verhindern kann. Man kann ein Lied darüber machen, aber Lieder können die Welt nicht verändern. Sie können allenfalls die Seele trösten. 

0381-MAGAZIN: Das erste westdeutsche Konzert der Puhdys fand 1976 in Hamburg statt. Udo Lindenberg war im Publikum. Wie erinnern Sie diesen Abend?
Birr: Udo Lindenberg lernten wir am Tag zuvor kennen. Bei unserer Pressekonferenz in Hamburg waren eine Menge Journalisten, weil eine Ostband im Westen etwas Besonderes war. Wir wurden in der Presse die „Pilzköpfe vom Alexanderplatz" genannt. Am nächsten Tag kam Udo zu unserem Konzert in der Fabrik und lud uns einfach zu sich nach Hause ein. „Wir sind jetzt Kumpels!“ Zu dem Zeitpunkt war sein Album „Sister King Kong“ aktuell. Jeder von uns bekam von ihm ein Exemplar geschenkt. Eine Westplatte war in der DDR ein Schatz. Und diese war auch noch zum Aufklappen! 

0381-MAGAZIN: Angeblich hat Lindenberg damals mit seinem Panikorchester eine Band aus der DDR gesucht und unter anderem auch die Puhdys gefragt. 
Birr: Daran erinnere ich mich nicht. Als ich 2014 mein erstes Soloalbum aufnahm, konnte ich Wolfgang Niedecken und Jule Neigel für eine Zusammenarbeit gewinnen. Mein Produzent Ingo Politz fragte in meinem Namen auch Udo Lindenberg an. Aus irgendeinem Grund schrieb Ingo Maschine mit "ie". Udo antwortete sofort und schickte viele Grüße ins „Maschienenhaus". Das fand ich sehr liebenswert. Leider war er zu dem Zeitpunkt mit einem eigenen Album beschäftigt. Aber er ist schon ein interessanter Typ. 

0381-MAGAZIN: Sie feiern am 18. März Ihren 80. Ist dieser runde Geburtstag für Sie ein Anlass, Ihr Leben zu ändern?
Birr: Auf keinen Fall, ich werde genauso weitermachen wie bisher und freue mich auf alles, was da noch auf mich zukommt. An meinem Geburtstag bin ich übrigens gar nicht im Lande, weil ich mit meiner Frau auf eine dreiwöchige Südamerika-Kreuzfahrt gehe. Wir brauchen jetzt mal ein bisschen Ruhe.
 
OLAF NEUMANN
 
03.04.2024 · 18.30 Uhr · Thalia (Signierstunde)
25.10.2024 · 20.00 Uhr · Stadthalle

Foto: Chris Gonz

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