Bühne
In die Zeit gefallen
Apr 23
Bereits mehr als 20 Mal wurde Jelineks „Winterreise“ inszeniert – jetzt kommt eine Produktion in Rostock hinzu. Nein, das ist ganz und gar kein Aprilscherz: Am 1.4. kommt ein Theatertext von Elfriede Jelinek auf die große Bühne des Volkstheaters. „Winterreise“ heißt er und erhielt gleich nach seinem Erscheinen im Jahr 2011 den Mühlheimer Dramatikerpreis.
Nun, zwölf Jahre und eine Pandemie später, sagt die Regisseurin Rebekka David: „Im ersten Lockdown haben wir alle erfahren, was es heißt, wenn die Zeit plötzlich aus den Fugen rutscht, wenn der Rhythmus, die Verankerung fehlen und wir neu lernen müssen, in ihr zu sein. Eine Frage ist dadurch wieder präsenter geworden: Wollen wir unsere Zeit wirklich so verbringen, wie wir es in der Regel im Alltag tun, oder gibt es vielleicht noch ganz andere Wege, unsere Zeit aufzuteilen, die für alle gerechter wären?“Jelineks nicht mehr ganz neuer Text hilft also, eine aktuelle Erfahrung zu beschreiben.
Der Titel „Winterreise“ bezieht sich auf Franz Schuberts gleichnamigen Liederzyklus und dessen zeitlose Erzählung vom Fremdsein in der Zeit. Rebekka David: „Das ist ja ein riesiges Thema: die Flüchtigkeit, die Beschleunigung. Aktuell sehen wir nicht nur, dass technische Prozesse, Infrastruktur, Transport etc. immer schneller werden, sondern dass auch die Spanne, in der Veränderung stattfindet, kürzer geworden ist. Die Welt um mich herum verändert sich schneller, als ich sie greifen kann.“
Die in Leipzig geborene Regisseurin lässt Jelineks Text in einem geschlossenen Hotel spielen – ein aus der Zeit gefallener Raum mit einem heruntergekommenen Pianisten und gestrandeten Gästen. Deren opulente Kostüme lassen das Verankertsein in unterschiedlichsten Epochen erahnen, aber vielleicht nicht unbedingt in der Realität. Ihre Geschichten erzählen über das vollkommene Abgeschnittensein von der Zeit wie bei Natascha Kampusch, die achteinhalb Jahre in einem Keller eingesperrt war, ebenso wie vom Takthalten bis auf die Millisekunde bei den Hochgeschwindigkeits-Transaktionen der Finanzmarkt-Jongleure. Und wohl auch vom Stillstand.
Rebekka David wird beim Inszenieren ganz konkret: „Wir haben verschiedene Figuren entworfen, deren Zeit unterschiedlich schnell läuft. Und da wir unser Zeitempfinden als etwas sehr grundlegendes, unveränderbares wahrnehmen (was es natürlich nicht ist), entstehen bei deren Aufeinandertreffen Spannungen. Man muss ja nur mal mit jemandem spazieren gehen, der deutlich langsamer läuft als man selber. Das ist schwer auszuhalten“.
Nur 4 Vorstellungen!
Premiere „Winterreise“
01.04.2023 · 19.30 Uhr · Großes Haus
02.04.2023 · 15.00 Uhr // 21.04.2023 · 19.30 Uhr // 30.04.2023 · 18.00 Uhr
PM · Foto: Thomas Häntzschel
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