Besonders emotionale Erlebnisse prägen den Menschen. Die Geburt eines Kindes gehört zweifelsohne zu solchen Zäsuren.
Ähnlich prägend muss es Josefine Lantow (32) ergangen sein, denn nach der Geburt ihres zweiten Kindes sollte sich selbst ihr Berufsleben entscheidend verändern. Nachdem sie das erste Kind in der Klinik und das zweite dann zuhause als Hausgeburt bekommen hatte, fehlte Frau Lantow eine echte Alternative. Im Frühjahr 2007 machte sich die diplomierte Kauffrau dann an die Konzeption eines gänzlich neuen Unternehmens in Rostock: sie wollte ein Geburtshaus gründen. Alle Pläne mündeten dann tatsächlich im Herbst 2008 in der Eröffnung der Einrichtung „Geburtshaus Rostock“. Da es besonders im Bereich Familie sehr dichte konventionelle Normen gibt, ist die Akzeptanz für Neues nicht automatisch gegeben. Um ein paar Vorurteile und Ängste abzubauen, hat sich das 0381-Magazin einmal umgeschaut, was eigentlich in so einem Geburtshaus geschieht und wie diese neu geschaffene Schnittstelle in der Praxis aussieht.
Das Geburtshaus liegt sehr ruhig in der Südstadt, Brahestraße 37. Es ist ein typischer Flachbau der ehemaligen DDR und war mal eine Kaufhalle. Die Form verrät es, sonst nichts. Das Haus hat viele bauliche Vorteile: es ist natürlich ganz nah am Südstadtklinikum gelegen, barriefrei und ebenerdig und man kann direkt vor der Tür parken. Zudem gibt es viele Räume. Manche für Krabbelgruppen, andere für Hebammen und natürlich auch die Geburtsräume. Das ist alles nicht unwesentlich. Aber warum genau sollte man dort entbinden wollen und nicht woanders?
Es gibt zunächst viele Gründe, die gegen eine Hausgeburt sprechen. Da muss man ganz einfach mal praktisch sprechen. Nicht jeder möchte beispielsweise viel Blut in der Wohnung haben oder die Nachbarn zwingend lautstark teilhaben lassen am ultimativen Glücks- und Schmerzmoment. Die sehr private und entspannte Atmosphäre eines eigenen Zuhauses kann jedoch wohl kein zweiter Ort auf der Welt bieten. Und spricht man mit Müttern, die schon einmal zuhause entbunden haben, so ist dies oftmals genau der simple Grund für ihre Entscheidung: ein Zuhause bedeutet auch Sicherheit, vor allem psychische.
Frauen bekommen lediglich Kinder; sie sind nicht krank.
Es sprechen ebenso viele Gründe gegen eine Geburt im Krankenhaus. Es kann dort zweifelsfrei schädliche Keime geben und Krankenhäuser unterliegen einem Zeit- und Platzmanagement. Ökonomie zwingt dann oft auch zu geburtsanregenden Maßnahmen, die nicht natürlich sind – wobei hierzulande niemand zu so etwas gezwungen wird. Ewig Zeit ist jedenfalls nicht und die Hebammen verschwinden während der Wehen auch aus dem Zimmer, weil sie nun mal mehrere Geburten gleichzeitig betreuen müssen. Viele Frauen finden das befremdlich. Andererseits gibt es natürlich in einem Notfall keinen besseren Ort als ein Krankenhaus. Man darf nur nicht grundsätzlich von einem solchen Notfall ausgehen, denn die meisten Geburten haben nichts Morbides an sich. Wir müssen weg von diesem Bild, nämlich, dass eine werdende Mutter automatisch krank ist. Diese Einstellung mag ein Zugang zu dem Gang ins Geburtshaus sein. Der Slogan des Hauses ist „natürlich Kinder bekommen“ und dies spiegelt sich dann im ganzen gemeinsamen Umgang miteinander wider. So hat man eine Hebamme, die einen bereits im Vorfeld, also während der Schwangerschaft schon, begleitet. Im Geburtsraum steht nicht plötzlich jemand Fremdes. Zudem kommt während der Geburt eine zweite Hebamme hinzu, die man auch schon kennt. Diese beiden begleiten einen dann und gehen auch nur mal weg, wenn man es wünscht. Zudem dauert eine Geburt eben so lange, wie sie dauert. Das heißt, nur die Schwerkraft, Massagen oder Homöopathie werden eingesetzt. In diesen Abläufen, die nach fest beschriebenen Rahmenbedingungen ablaufen, liegt die Sicherheit gegenüber einer Hausgeburt. Qualitativ lässt sich da also eine klare Grenze ziehen. Es ist alles vorhanden und im Ernstfall steht der Krankenwagen eine Straße weiter, das Klinikum ist nur zwei Straßen weiter. Alle Risiken werden vorher abgewogen. Diabetes-Patientinnen, Mehrlingsgebärende und andere Vorerkrankte dürfen nicht im Geburtshaus entbinden und werden auch schwerlich eine begleitete Hausgeburt haben können. Grundsätzlich kann man alle Leistungen in Anspruch nehmen oder auch nur eine, das ist völlig egal. Wer woanders entbinden möchte, ist dennoch willkommen. Ein Besuch lohnt sich in jedem Fall, um Vorurteile und unbegründet eigenartige Gefühle beiseite legen zu können.
Es gibt viele Ängste aber auch eine Menge Wünsche.
Die Generation der Eltern der wiederum werdenden Eltern stellt ganz oft das größte Problem in Akzeptanzfragen dar. Zur Beruhigung sei auf die gefühlten 100 Arztbesuche im Vorfeld einer Niederkunft hingewiesen und auf den Fakt, dass man im Geburtshaus – wie auch im Krankenhaus – in erster Instanz auf bestens ausgebildete Hebammen trifft, die ihren Job ortsunabhängig gut ausüben. Die Zahlen des Geburtshauses Rostock lassen zuversichtlich in die Zukunft blicken, denn 2009 gab es bereits 63 Geburten. Davon waren etwa 50% Erstgebärende. Einen Altersdurchschnitt gibt es nicht, alles von 18 bis 43 Jahren ist vertreten. Bei unserem Besuch im September wurde gerade das 100. Kind geboren, morgens früh um sechs, ein Junge.
Abgebote des Geburtshauses (z.T. Kassenleistungen):
Geburtsvorbereitungskurse
Vor- und Nachsorgeuntersuchungen
Geschwisterbetreuung
Stillberatung
Yoga
Massagen
Rückenschule
Krabbelgruppen
Rückbildungsgymnastik
Babymassagen
Musikalische Früherziehung
PEKiP
MamaFit
Gesine Schuer