Der 20. Jahrestag der Pogromnächte von Lichtenhagen ist derzeit in aller Munde – und wird von vielen verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen begleitet. Die Macher der Rostocker Zeitschrift "Stadtgespräche" haben sich für eine Beschäftigung mit dem Thema entschieden, die möglichst viele Rostocker ganz direkt erreichen möchte: Bereits Anfang Mai starteten Sie eine Crowdfunding-Initiative, in der am Ende genug Geld zusammenkam, um 10.000 DVD-Exemplare von "The truth lies in Rostock" zu produzieren.
Dieser Film, dessen deutscher Titel sich wohl am besten mit "Die Wahrheit liegt/lügt in Rostock" übersetzen lässt, wurde 1993 vom Filmteam Spectacle-TV für Channel 4 produziert. Bei den Dreharbeiten in Rostock wurde Spectacle-TV damals von einer Rostocker Mediengruppe unterstützt , der wir die deutsche Fassung eines Films verdanken. "The truth lies in Rostock" fällt dadurch aus dem Rahmen der üblichen politischen Reportagen heraus, dass er die Ereignisse des August 1992 sehr detailliert, authentisch und wenig reißerisch nachzeichnet und auch die politischen Hintergründe ausführlich und kritisch beleuchtet .
Eben dieses Zeitzeugnis können sich die Rostocker nun auf besagten DVDs anschauen, die Anfang August von vielen engagierten Helfern in Briefkästen überall in der Stadt verteilt werden. Der Grundgedanke: In den eigenen vier Wänden kann man ihn mit deutlich weniger Aufwand und innerer Bereitschaft ansehen.
Und wird mit Bildern konfrontiert, die jeden zur inneren Stellungnahme zwingen.
"Wir wollen erreichen, dass die Ereignisse wieder erinnert werden, nicht um in alten Wunden zu bohren, sondern damit auch dieser Teil der Stadtgeschichte endlich nicht mehr einfach verdrängt wird, Eingang in das Selbstverständnis der Stadt findet", fasst Peter Köppen vom Redaktionsteam das Anliegen der Initiatoren zusammen. "Und wir glauben, dass es dazu weniger offizielle Gedenkveranstaltungen als gemeinsames Erinnern und vorwurfs- und vorurteilsfreie Gespräche braucht."
Die wollen die Stadtgesprächler denjenigen Rostockern, die eine DVD in ihrem Briefkasten gefunden haben, ermöglichen und haben eigens zu diesem Zweck ein Diskussionsportal eingerichtet. Unter www.lichtenhagen-2012.de können sich Menschen äußern, bei denen der Film das Bedürfnis geweckt hat, zu diskutieren oder sich mit anderen Rostockern auszutauschen. Unter anderem geht es dort um die Fragen, welchen Anteil die Rostocker Bevölkerung tatsächlich an den Ereignissen von 1992 hatte, wie der Umgang der Stadt und ihrer Bewohner mit dem Thema in den letzten 20 Jahren zu beurteilen ist und wie heute eine vergleichbare Situation verlaufen würde.
Das über das Crowdfunding für die Aktion eingesammelte Geld wurde übrigens ausschließlich für die Produktion der DVDs verwendet, alles andere geschah, geschieht und wurde möglich, weil sich in Rostock genug Menschen fanden, denen die Aktion am Herzen liegt. So war es überhaupt kein Problem, die mehr als 30 freiwilligen DVD-Verteiler für eine Unterstützung zu gewinnen.
"Der Zuspruch von ganz verschiedenen Seiten und Leuten hat uns wirklich überrascht", erzählt Tom Maercker, ebenfalls Mitglied der "Stadtgespräche"-Redaktion, "und hat uns die Anfangsmotivation bis in diese letzte Phase der Aktion erhalten. Die Hilfe bei der Planung, die immer neuen Spenden auf unserem Startnext-Konto, die vielen Zusagen für die Verteilung, die Mails und Ermunterungen – spannend und großartig."
Er und seine Redaktionskollegen wünschen sich natürlich nicht nur Diskussionen im Portal, sondern auch direkten, nahmündlichen Austausch.
Deshalb soll es außerdem am 03.08.2012 im Peter-Weiss-Haus eine Filmnacht geben, bei der "The truth lies in Rostock" sowie der WDR-Film "Wer Gewalt sät – von Biedermännern und Brandstiftern" gezeigt und diskutiert werden. Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit dem SOBI e.V., der in seinen Räumen zu dieser Zeit auch eine Ausstellung zum Thema Lichtenhagen zeigt. Moderiert wird der Filmabend vom NDR-Journalisten Michael Schmidt.
Neben den beiden Filmen werden auch Interviews mit ehemaligen Akteuren zu sehen sein, die ein Filmteam um den FISH-Initiator Matthias Spehr in den letzten Wochen aufgezeichnet hat – ihr Rückblick auf die damaligen Ereignisse birgt beides: die deutliche Erinnerung an den August 1992 und auch die Frage nach unserer Verantwortung für diese Stadt und ihre Geschichte.
Kristina Köbe
LICHTENHAGEN BEWEGT
Konzert und Videocollagen
mit 17 Hippies, Die Reise, Antispielismus, Movimento
Im August 2012 jähren sich die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. Mit dem Gedenkkonzert "Lichtenhagen bewegt" am 24. August 2012 ab 18 Uhr auf der Haedgehalbinsel im Rostocker Stadthafen wollen wir, die Heinrich-Böll-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern und der Verein „Bunt statt braun“ an die furchtbaren Brandanschläge auf das so genannte Sonnenblumenhaus, in dem sich die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge befand, erinnern. Wir freuen uns, dass wir neben den Rostocker Bands "Die Reise", "Antispielismus" und "Movimento" auch die Berliner Formation "17 Hippies" für dieses Konzert und unser Anliegen gewinnen konnten! Gemeinsames Ziel ist es, die Erinnerung wach zu halten, um für Demokratie, Menschenrechte und -würde, Toleranz und Zivilcourage eintreten zu können. Während des Gedenkkonzertes werden wir Filmmaterial und Zeitzeugeninterviews auf der Videoleinwand präsentieren, um die Geschehnisse aufzuarbeiten und über die Hintergründe und die Folgen, zum Beispiel in der Asylgesetzgebung, zu informieren. Der Eintritt ist frei.
24.08.2012 · 18.00 Uhr · Haedgehalbinsel, Rostocker Stadthafen