Eine kreative Überraschung verbirgt dieser Tage hinter den rustikalen Mauern der Rostocker Küstenmühle. Dort stellt ein bunt gewürfelte Gruppe von Graffiti-Künstlern Bilder und Installationen aus – komisch, unkonventionell und skurril. Motto der Ausstellung: „Realitätsmärchen in Schwarz Weiß“.
„Als wir zum ersten Mal den Raum gesehen haben, in dem wir ausstellen könnten, waren wir sofort verliebt. Wir konnten uns hier richtig austoben.“ Janine ist begeistert. Wenn es um freie Wände und große Flächen geht, muss man wohl mit dem Graffiti-Virus angesteckt sein, um das Glänzen und Glitzern in ihren Augen nachvollziehen zu können. Janine ist eine der zwölf Graffiti-Künstler aus Rostock, Hamburg und Berlin, deren Werke noch bis April in der Küstenmühle zu sehen sind. Außerdem ist sie die einzige Frau und Mitinitiatorin der Ausstellung. „2008 waren wir mit unseren Bildern im Café Central, aber dieses Jahr wollten wir das Ganze größer aufziehen“, erzählt die 23-jährige.
Und so fanden sich zwölf Kunst- und Graffiti-Verrückte zusammen und schufen ein anspruchsvolles, poetisches und überraschend vielseitiges Gesamtwerk, das übrigens komplett zum Verkauf steht.
Die Bilder und Zeichnungen lassen ihre Wurzeln in der Street-Art natürlich erkennen, viele ordnen sich stilistisch jedoch in einen breiteren künstlerischen Kontext ein und bewegen sich damit in einem eigenen, manchmal verspielten, manchmal auch verrückten Spannungsfeld. Keine Grenzen, alles ist erlaubt, was seinen Ursprung einmal an Nachbars Hauswand hatte. Dies drückt sich auch in der Wahl der Materialien aus: Von Edding, Sprühdose über Öl und Acryl bis zur Tusche wurde alles benutzt. Die Motive sind mal fotorealistisch, kindlich-naiv, ornamental oder comichaft, wie eine Gruppe fetter Ratten im Abwasserkanal oder das Schneewittchen, das sich mit einem Messer die Arme aufschneidet. Ein Künstler nähte gar kleine Puppen, ließ sie von der Decke hängen und verlieh den Puppen in seinen Bildern somit ein dreidimensionales Abbild.
Einziger Wermutstropfen ist die Küstenmühle an sich. Etwas weit draußen erreicht die Ausstellung leider nicht die Aufmerksamkeit, die die Qualität der Bilder und Installationen verdient. Auch scheinen die Mitarbeiter der Mühle die Galerie gleichgültig bis lieblos zu behandeln. Glasscherben auf dem Boden, der Ausstellungsraum dreckig, übergangsweise abgestellte Regale und ähnlicher Kram, die den Blick auf die Bilder versperren.
Fazit: Großartige Ausstellung mit außergewöhnlichen Künstlern, leider sehr enttäuschend betreut. Aber Janine lässt sich nicht entmutigen: „Nächstes Jahr gehen wir in die Kunsthalle“. Klingt nach einem Plan.
Birke Scheffler
/*