Den wenigsten dürfte er unbekannt sein, dieser alte Mann, der, oftmals völlig unbeeindruckt von widrigen Witterungsbedingungen, Tag für Tag in der Kröpeliner Straße oder am alten Strom mittels Akkordeon und einem seltsam anmutenden Sammelsurium anderer Instrumente maritimes Flair verbreitet und den Soundtrack zum Shoppen und Flanieren kreiert.
Wer ist dieser Stadtmusikant, der auch über die Grenzen der Hansestadt hinaus einen soliden Bekanntheitsgrad genießt? 0381 hat ein echtes „Rostocker Original“ ins Verhör genommen. Michael Tryanowski ist am 12.12.1919 in einem kleinen Dorf bei Schwerin geboren und wächst
als Waise auf. Seine Mutter verunglückt tödlich als er vier Jahre alt ist, seinen leiblichen Vater kennt er nicht. Die Schule besucht er in Bad Kleinen, dort zeigt sich schon fru?h sein besonderes Talent. „In unserem kleinen Dorf war es oft sehr langweilig, so kam ich zur Musik“, berichtet der 86-jährige. Er spielt Mundharmonika, Flöte und Zieharmonika, später auch Akkordeon, Saxophon und Schlagzeug. „Man kann mich wohl ein Multitalent nennen“, erzählt Tryanowski nicht ohne eine Spur von Stolz. Den letzten Feinschliff erhält der angehende Musiker am Schweriner Konservatorium im Bereich Volksmusik. In den Jahren 1951-53 kristallisiert sich dort nicht nur das Akkordeon als bevorzugtes Instrument heraus, Tryanowski wird zudem Landesmeister im Gewichtheben. „Ich war zwar in der leichten Klasse, aber trotzdem ziemlich durchtrainiert“, schmunzelt er und betont: „Musik und Sport sind mein Leben.“ Nach Rostock verschlägt es Tryanowski das erste Mal bereits kurz nach dem Krieg. „Es hat mir gleich gefallen, besonders Warnemünde und die See“, meint er. Obwohl er viel rumgekommen ist und man ihn und seine selbstkonstruierte
„Teufelsgitarre“ neben Schwerin, Wismar und Kiel auch in Hamburg und Berlin kennt, hat der Mann, der heute in der Augustenstraße wohnt, nie
ernsthaft darüber nachgedacht die Stadt zu verlassen. „Hier sind meine Kinder“, sagt er und meint damit seinen Sohn und zwei Enkel. Seine Reisen
hat der rüstige alte Mann mittlerweile jedoch eingeschränkt.
„Musik ist zwar eine internationale Sprache, aber man ist keine zwanzig mehr.“, lacht Tryanowski.
Dennoch möchte er nach eigener Aussage noch lange nicht darauf verzichten, „Menschen Freude zu bereiten“. „Besonders den Kindern“, plaudert er weiter. „Ich spiele gerne Kinderlieder und wenn sie dann singen und tanzen, ist das auch meine Freude.“ An Geld hat Tryanowski bei seinem Tun nie vorrangig gedacht. Auf die Frage, ob sich so ein Tag in der Fußgängerzone auch fi nanziell rentiere, meint er nur lapidar: „Man kann zufrieden sein“, er sei es durchaus gewohnt viel umsonst zu tun. In der DDR beispielsweise war nur wenig positive Resonanz zu verzeichnen. „Straßenmusikanten wurden nicht geduldet“, weiß er zu berichten. „Aber auf Brigade- und Volksfesten, da brauchten sie uns wieder.“ Tryanowski hat sich Zeit seines Lebens nur selten vereinnahmen lassen. Anfragen von diversen Shantychören und das Angebot einer Tour von Berlin bis nach Kopenhagen lehnte er ab. Diese Unabhängigkeit ist ihm wichtig. „Die Hauptsache ist immer Musik, ich will mich nicht mit anderen ärgern“, betont er.
Auf die abschließende Frage nach Wünschen für die Zukunft, antwortet der Mann, dessen Gesundheitsrezept viel Sport und den konsequenten
Verzicht auf Tabak beinhaltet, ohne lange zu überlegen: „Dass ich weiter so fit bleibe und meine Lieder vor allem jetzt auf dem Weihnachtmarkt
zum Besten geben kann.“
ULRIKE NIMZ
(Dieser Artikel stammt aus dem zweiten 0381-Magazin im Dezember 2006.)