Wir sehen Tänzer bei einer Probe. Eifersucht kocht hoch, denn zwei Männer wollen eine Frau. Es wird geschubst. Hass blitzt auf. Plötzlich sind alle drei zusammen in der Garderobe. Es spitzt sich zu, doch der Balletdirektor tritt auf. Szenenwechsel. Eine neue Tänzerin tanzt vor. Der Direktor zeigt sich beeindruckt, die Männer des Ensembles äußerst interessiert. Sie erklimmt eine große Treppe, lässt sich fallen und wird von glücklichen Männerhänden aufgefangen. Doch da kommen auch schon die anderen stutenbissigen Tänzerinnen.
"Ragtime – Varieté der Illusionen" ist der Name eines Tanztheaterstückes, welches am 3. Juli in der wunderbaren Halle 207 seine Rostocker Premiere feiern wird. Bei dem Besuch einer Probe wird schnell klar, warum man sich das unbedingt angucken sollte. Die alte Halle der Neptunwerft hat schon ihren eigenen Charme, so schön unsaniert wie sie mit ihren Stahlträgern und nackten Wänden daher kommt. Man hört praktisch noch die Schweißgeräte. Perfekt in diese Form fügt sich auch das nahezu gänzlich in Metall gehaltene Bühnenbild von Ragtime ein. Minimalistisch gebaut, glänzt und rostet es gleichermaßen. Und das passt zu den Tänzern, die uns in ihre vermeintlichen zwei Welten der Arbeit und des Lebens blicken lassen. Kein Kitsch, keine Sprache, wenig Pathos aber dafür schöne Menschen in Strapsen, geile Blicke, Stühle, Zigaretten und mitreißende Musik machen schnell klar, dass es hier anständig knistert. Aber es wirft auch Fragen auf, z.B. wem eigentlich die beiden großen Spiegel auf der Bühne vorgehalten werden, den Tänzern oder dem Publikum? Unser Magazin sprach mit dem Regisseur und Choreographen Bronislav Roznos über die kommende Aufführung.
0381-MAGAZIN: Was passiert bei Ragtime auf der Bühne?
ROZNOS: Also, was wir sehen, ist im Grunde ein Theater im Theater. Das Ganze ist eine große Show, ein Varieté. Aber es gibt zwischendurch auch Einblicke ins Private und eine ganz andere Atmosphäre wird erschaffen. Man könnte sagen, es ist ein Stück über uns selbst, über die Künstler am Theater. Mal in Kostümen, mal im Trainingsanzug.
0381-MAGAZIN: Von wem ist das Stück?
ROZNOS: Ich habe es geschrieben und trete zusammen mit meinen 10 Tänzern auch auf. Meine Rolle bei Ragtime ist der Balletdirektor. Wenn die Tänzerinnen z.B. bei mir vortanzen, dann kommt es schnell zu Konflikten. Sie sind neidisch aufeinander und sehen sich als Konkurrentinnen. Es gibt natürlich Liebesbeziehungen und der Direktor zieht aus diesem ganzen realen Leben wieder seine Inspiration für die Bühne und die Show. Für die Tänzer selbst ist jede Probe und jeder Auftritt ein Teil von ihnen. Es ist das reale Leben, das schließlich auch oft völlig illusorische Züge trägt.
0381-MAGAZIN: Was erwartet uns musikalisch?
ROZNOS: Wir haben natürlich überwiegend Ragtime-Musik aus den 20er und 30er Jahren verwendet. Das sind ganz authentische alte Aufnahmen z.B. von Scott Joplin, aber auch zeitgenössische Komponisten wie Rufus Wainwright, Ondrej Havelka sind dabei.
0381-MAGAZIN: Was ist so besonders an diesem Stück?
ROZNOS: "Ragtime" bedeutet "zerrissene Zeit". Das spiegelt sich auch in der impulsiven Musik und den teils ungestümen Tänzen wider. Dieses Stück ist gleichermaßen witzig und locker, aber auch der nötige Tiefgang fehlt nicht. Die Zuschauer werden schnell merken, wie sie mittendrin sind, da sie sowohl in die Garderoben blicken als auch hinter der Bühne dabei sein können. Wir haben nämlich im Grunde alles auf die Bühne geholt und so ist sehr viel Interaktion zu sehen. Alle Requisiten, z.B. auch zwei große Showtreppen, werden ständig von den Tänzern selbst verschoben. So bleibt nichts verborgen und doch ist alles eine große Show, welche auch diejenigen faszinieren wird, die sonst nicht ins Theater gehen.
GESINE SCHUER