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Eine kurze Zwischenbilanz zur Gedenkwoche
Aug 17
Eine kurze Zwischenbilanz zur Gedenkwoche anlässlich des rassistischen Pogroms im August 1992 in Rostock Lichtenhagen
Ich finde es lobenswert, dass die Stadtverwaltung mit uns MigrantInnen und VertreterInnen der Betroffenen sowie der übrigen Zivilgesellschaft seit Jahren zusammen an einem angemessenen Gedenkkonzept gearbeitet haben. Erste Ergebnisse sind das Projekt „Lichtenhagen im Gedächtnis“ beim Verein Soziale Bildung und die fünf Gedenkstelen, die gerade feierlich eingeweiht wurden und noch werden. Als ein Vertreter der MigrantInnen und Mitglied der städtischen AG Gedenken weiß ich, wie viel Arbeit und Engagement dazu nötig waren. Mit VertreterInnen aus Verwaltung und Stadtpolitik haben wir in diesem Prozess immer wieder um Inhalte gerungen und nach Kompromissen gesucht. Dabei habe ich auf vielen Ebenen das ernsthafte Bemühen gespürt, die Ereignisse im Sommer 1992 aufzuarbeiten. Dass es dabei auch gegensätzliche Standpunkte gab und gibt, gehört für mich in der Demokratie dazu.
Ich glaube, dass wir an einem Punkt angekommen sind, dass ein Verdrängen und Vergessen nicht mehr so leicht möglich ist, wie in vergangenen Jahren.
Doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Die entstandenen Mahnmale dürfen nicht missbraucht werden, um jetzt einen Schlussstrich zu ziehen.
Es gibt weiterhin vieles zu tun in dieser Stadt. Erinnern wir uns an den Sommer 2016, als RassistInnen im Stadtteil Groß Klein gegen Kinder und Jugendliche auf die Straße gegangen sind.
Rassismus und seine Folgen sind keineswegs verschwunden, wenn Neonazis und andere RassistInnen noch immer mit Lichtenhagen drohen.
Wenn die Presse, die damals Aufrufe und Meinungen von Neonazis unkommentiert veröffentlicht und damit entscheidend zur Mobilisierung in Lichtenhagen beigetragen hat, noch immer die Schuld lieber bei anderen sucht und weiterhin durch problematische Berichterstattungen auffällt.
Wenn die Politik nach wie vor nicht zu einer ernsthaften und konsequenten Untersuchung der damaligen Ereignisse und der Verantwortlichen bereit ist und die Betroffenen von Lichtenhagen noch immer nicht wissen, wieso sie damals von Politik und Polizei allein gelassen wurden.
Wenn AntifaschistInnen und andere zivilgesellschaftlich Aktive immer noch Berührungsängste im Umgang mit MigrantInnen haben und erst auftreten, wenn erkennbare Neonazis hetzen. Wenn wir Migrantinnen und Migranten nicht dabei unterstützt werden, einen Schlussstrich unter das Pogrom von 1992 oder die Morde des NSU zu verhindern.
Im Sommer 1992 hat die gesamte Gesellschaft versagt. Die Politik kam ihrer Verantwortung nicht nach, die täglich ankommenden Flüchtlinge zu beherbergen und zu versorgen. Aber auch zivilgesellschaftliche Hilfsbereitschaft fehlte. Die Stimmungsmache der Presse sowie die Rolle der Polizei wurde nach dem Pogrom weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Als der Rauch damals verzogen war, erhielten die MieterInnen in der Nachbarschaft Mietminderungen. Die alleingelassenen VietnamesInnen mussten in Sporthallen auf dem Boden schlafen und wurden später mit ihren Traumata alleine gelassen. Die Roma hatten nicht einmal die Möglichkeit, ihre Betroffenheit zu äußern.
In den jetzt stattfindenden Gedenkveranstaltungen kommen nur zwei bis drei der damaligen Betroffenen zu Wort. Wir sprechen aber von hunderten Flüchtlingen und etwa 150 VietnamesInnen, die damals betroffen waren. Selbst wenn sie eingeladen werden (und auch das ist noch immer eher die Ausnahme), finden sie kaum einen Raum. Es ist unsere Aufgabe, mit diesen Menschen die Geschehnisse aufzuarbeiten und sie dabei zu unterstützen, über das damals Erlebte reden zu können.
Ich möchte deshalb zwei konkrete Vorschläge machen:
1. Das Archiv „Lichtenhagen im Gedächtnis“ sollte fortgeführt und erweitert werden, um die Grundlage für ein bundesweites Dokumentationszentrum für die Betroffenen der rechten Gewalt seit der Wiedervereinigung Deutschlands zu bilden, das in unserer Stadt entstehen sollte.
2. MigrantInnen sollten sich mit möglichst vielen der damaligen Betroffenen in Verbindung setzen und Interviews führen, auf deren Grundlage dann ein Dokumentationsfilm entstehen könnte.
Imam Jonas Dogesch
Sprecher MIGRANET-MV
Netzwerk der MigrantInnenselbstorganisationen aus MV
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