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Tran Lan Anh – „Du schaffst das!“
Jul 17
Manchmal verstehen die Kunden in der kleinen Änderungsschneiderei in der Ottostraße minutenlang nichts, weil die Chefin und die Näherinnen natürlich auf vietnamesisch ihren Plan machen, wie das Kleid, die Hose oder die Bluse umgearbeitet werden soll. Trotzdem merken sie: Hier ist gute Laune.
Und sie werden von Tran Lan Anh bald wieder ins Gespräch einbezogen: Wie gehts, was macht die Familie? Und wie wird das Wetter? Bei dieser Stimmung ist es kein Wunder, dass Tran Lan Anh von den meisten ihrer Stammkunden geduzt wird. „Das ist hier so“, sagt Tran Lan Anh lachend. „Mich stört das überhaupt nicht!“
Acht Jahre ist es her, dass Tran Lan Anh die kleine Änderungsschneiderei in der Ottostraße übernahm. Seitdem fühlt sich die quirlige Vietnamesin in der KTV zuhause. Aber selbst, wenn sie über die Zeit vorher spricht, verlässt sie das Lächeln nicht. „Früher wusste ich manchmal nicht, wie es weitergehen soll. Aber es ist doch alles gut geworden!“
Tran Lan Anh war Fernsehmoderatorin in Hanoi, mit ihrem Team suchte sie in Vietnam nach Gegenden, die touristisch erschlossen werden könnten und stellte sie den Zuschauern vor. Das Land öffnete sich der Welt, entwickelt den Tourismus als Wirtschaftszweig. „Aber es ist sozialistisch“, sagt Tran Lan Anh und lacht, als sie versucht ist, ein „noch“ in den Satz einzufügen. Schließlich verliebt sie sich in einen Geschäftsfreund ihres Chefs, der viel in Deutschland arbeitet. Nach einer jahrelangen Fernbeziehung holt er sie 2004 nach Deutschland, sie heiraten und bekommen ein Kind. Doch im November 2008 ist die Ehe am Ende. Für Tran Lan Anh beginnt ein harte Zeit. Der Job als Näherin in der Ottostraße ist nur einer von vielen, mit dem sie sich über Wasser hält. „Ich konnte kaum Deutsch, hab als Putzfrau und als Kellnerin gearbeitet, als Kellnerin, Zeitungen verteilt“, erzählt sie. „Alles nur, um mich und meine Tochter über Wasser zu halten – und dabei hatte ich immer Sorgen, dass meine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird.“
Schließlich bekommt sie 2010 das Angebot, die Schneiderei zu übernehmen. Es fällt ihr schwer, darin eine Chance zu sehen. „Aber ich hatte inzwischen viele deutsche Freunde, die haben mir immer gesagt: Du schaffst das. Da hab ich es versucht.“ Sie borgt sich das Geld zusammen, arbeitet viel, etabliert eine Unternehmenskultur im Laden. „Ehrlichkeit, Qualität und Hilfsbereitschaft – das sind die drei Ziele, die ich mit meinem Geschäft verfolge“, sagt sie lächelnd. Natürlich hat sie auch von Lichtenhagen gehört, sie weiß, dass viele Vietnamesen schon zu DDR-Zeiten nach Deutschland und nach Rostock gekommen sind. Doch sie hat ihren Freundeskreis unter den Deutschen gefunden. „Der Anfang war natürlich schwer“, sagt Tran Lan Anh. „Aber ich war es gewohnt, mit wenig auszukommen. Ich hab dann Gas gegeben – so nennen es die Deutschen. Das gefällt mir: Gas geben.“
Die Schneiderei nimmt Fahrt auf, bald kann sie das geborgte Geld zurückzahlen, dann sieht sie, dass sie auch als alleinerziehende Frau in Deutschland überleben kann. Der Service in der Schneiderei spricht sich herum, inzwischen vergehen kaum fünf Minuten, in denen keine Kunden an der Theke stehen und ihre Kleider bringen oder abholen wollen. Und immer verlassen sie mit guter Laune den Laden – davon hat Tran Lan Anh so viel, dass sie davon abgeben kann.
„Heute weiß ich, dass meine deutschen Freunde recht hatten“, sagt sie. „Sie haben mir vertraut und mir Mut gemacht.“ Natürlich lacht Tran Lan Anh dabei, wenn sie sagt: „Ja, ich hab’s geschafft.“
FRANK SCHLÖSSER
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